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Die Leitungswasserversicherung: 72-Stunden-Klausel

Die Wahrung der Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer ist entscheidend für die Leistungspflicht des Versicherers. Im Themenbereich der Leitungswasserversicherung kommt der Obliegenheit der 72-Stunden-Klausel besondere Bedeutung zu. Die 72-Stunden-Klausel findet sich in den Vertragsbedingungen diverser Haushalts- oder Eigenheimversicherungen. Sie bestimmt, dass alle Wasserzuleitungen abzusperren sind, wenn die Räumlichkeiten von allen Personen länger als 72 Stunden verlassen werden. Es handelt sich hierbei um eine vorbeugende Obliegenheit nach § 6 Abs 2 VersVG.

7 Ob 104/20z

Sachverhalt

Die Kläger waren jeweils Hälfteeigentümer eines Appartementwohnhauses. Das Appartementwohnhaus wurde über eine weitere Partei (Nebenintervenientin) touristisch vermietet. Zwischen den Klägern und dem beklagten Versicherer bestand eine Eigenheimversicherung, die ebenso das Risiko Leitungswasser umfasste.

Am 7. Dezember 2017 suchte die Nebenintervenientin gegen 10:30 Uhr das Appartementhaus auf, weil eine Reinigung der Fläche geplant war. Die Nebenintervenientin aktivierte die Heizkörper, drehte den Zentralwasseranschluss sowie den Boiler auf und verließ im Anschluss das Objekt.

Am 10. Dezember 2017 gegen 14:00 Uhr entdeckte sodann ein Nachbar einen Durchfeuchtungsschaden an der Fassade und meldete dies.

Der beklagte Versicherer wandte ein, dass die Kläger die 72-Stunden-Klausel nicht gewahrt haben (§ 6 VersVG).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Zwischenurteil dahin ab, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht.

Rechtliche Beurteilung durch den OGH

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hielt fest, dass § 6 Abs 1 VersVG für den Fall einer sogenannten schlichten (das heißt nicht risikobezogenen) Obliegenheit die Vereinbarung der gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers zulässt. Dies, wenn den Versicherungsnehmer an der Obliegenheitsverletzung ein Verschulden trifft.

Der Versicherer muss die objektive Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer beweisen. Demgegenüber muss der Versicherungsnehmer mangelndes Verschulden sowie die mangelnde Kausalität beweisen.
Der Versicherer nimmt  in Kauf, dass das Objekt grundsätzlich bis zu 72 Stunden nicht bewohnt wird und während dieser Zeit auch keine Beaufsichtigung erfolgen muss. Tritt der Versicherungsfall (Austreten von Wasser) schon innerhalb der ersten 72 Stunden ein, so wäre die Obliegenheitsverletzung nicht kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls, sondern bloß für den Umfang der Versicherungsleistung im Ausmaß des Schadenseintritts nach Ablauf der 72 Stunden.
Erfolgt der Wasseraustritt demgegenüber nach Ablauf der ersten 72 Stunden, so wäre die Obliegenheitsverletzung kausal für den Eintritt des Versicherungsfalls und der beklagte Versicherer wäre leistungsfrei.

Im Ergebnis hob der OGH die Entscheidungen des Erst- sowie des Berufungsgerichts auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung (Verfahrensergänzung) an das Erstgericht zurück.

Die Bedeutung dieser Entscheidung für die Praxis

Der Zeitraum von 72 Stunden ist jedoch als grundsätzlich mitversichert anzusehen.

Es gilt zu prüfen, wann es zum Wasseraustritt gekommen ist. Dies hat besondere Bedeutung für die Folgen der Beweislast.

Der Versicherer hat grundsätzlich Obliegenheitsverletzung zu beweisen. Gelingt dem Versicherer der Beweis der Obliegenheitsverletzung, so kann der Versicherungsnehmer sein mangelndes Verschulden beweisen (Entschuldigungsbeweis). Der Versicherungsnehmer kann jedoch auch den Beweis führen, dass die von ihm zu verantwortende Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles hat. Der Versicherer bleibt ebenso (teilweise) leistungspflichtig, wenn der Versicherungsnehmer unter Beweis stellt, dass die Obliegenheitsverletzung auf das weitere Ausmaß der Leistung keinen Einfluss hatte (Kausalitätsgegenbeweis).

Für Fragen und anwaltliche Vertretung zum Thema der Leitungswasserversicherung, bzw den Folgen eines Wasserschadens stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung.

Fazit

Die angeführte Entscheidung ist ein prägendes Beispiel für die Komplexität der Leitungswasserversicherung.

Im Falle es eines Schadens und der Frage der Leistungspflicht, sind insbesondere der Entschuldigungsbeweis und der Kausalitätsgegenbeweis zu beachten.

Für Fragen und anwaltliche Vertretung zum Thema der Leitungswasserversicherung, bzw den Folgen eines Wasserschadens stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung.

Dr. Stefan Heninger – Rechtsanwalt in 1010 Wien